Robert Wyatt

// Urs Musfeld

Robert Wyatts Karriere begann in den 1960er-Jahren. Mit seiner Band Soft Machine lotete der Schlagzeuger und gelegentliche Sänger Möglichkeiten zwischen Psychedelic-, Prog- und Jazz-Rock aus. Als Solo-Künstler entwickelte er einen eigenen Stilmix aus Jazz, Folk, Pop, Experimental- und Kammermusik. Heute feiert er seinen 75. Geburtstag.

Geboren wurde Robert Wyatt am 28. Januar 1945 in Bristol. 1966 gründete er in Canterbury zusammen mit Hugh Hopper, Mike Ratledge und Kevin Ayers Soft Machine, benannt nach einer Novelle von William S. Burroughs. Neben Gong und Caravan zählten sie zu den Eckpfeilern der Canterbury-Progressive Rock-Szene. Seine zweite Band Matching Mole (1971-1972) bot musikalisch Ähnliches mit verändertem Personal.

Solokarriere

1973 stürzte Robert Wyatt bei einer Party volltrunken aus einem Fenster im vierten Stock eines Mehrfamilienhauses und ist seither von der Hüfte abwärts gelähmt. Wyatt spielte fortan Keyboards und Trompete, sang und komponierte. Ein Jahr später erschien sein zweites Soloalbum «Rock Bottom». Mit Musikern wie Soft Machines Hugh Hopper, Caravans Richard Sinclair, Fred Frith und dem jungen Mike Oldfield schuf er einen Sound, der die Schwerkraft zu überwinden schien. Komplexe, jazzdurchzogene Songs zum Thema Schmerz und Verlust.

Vor allem der Gesang ist es, was Robert Wyatts Musik ausmacht. Experimentierfreudig setzt er seine mehrere Oktaven umfassende Stimme als Instrument ein. Wyatt hat dem Ausdrucksspektrum männlicher Sänger eine Verletzlichkeit hinzugefügt, die nie mit Selbstmitleid verbunden war.

Ebenfalls 1974 gelang ihm völlig unerwartet mit einer Coverversion des Monkees-Hits «I’m A Believer» der Sprung in die englischen Top 40. Sein Auftritt bei «Top of the Pops» sorgte für Wirbel, weil die BBC aus Gründen der Familienfreundlichkeit keinen Rollstuhlfahrer zeigen wollte – am Ende setzte sich Dickkopf Wyatt durch. «Ruth Is Stranger Than Richard» (1975) sollte bis «Old Rottenhat» (1985) das letzte Studio-Album sein. Vertraglich als Albumkünstler noch an Virgin Records gebunden, aber unwillig, weiter mit dem Label zu arbeiten, schwieg Wyatt in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre.

Protestsongs

Er nahm dann aber für das Rough Trade-Label Singles mit Arbeiter-, Befreiungs-, und Protestsongs vornehmlich anderer Musiker*innen auf. Zu hören sind die Lieder des überzeugten Marxisten auch auf der Compilation «Nothing Can Stop Us» (1982). Darunter «Strange fruit», Billie Holidays bittere Ballade über rassistische Morde in den USA, oder «Stalin wasn`t stallin`» ein Gospel aus Zeiten, als Amerikaner und Russen Seite an Seite gegen Hitler standen. Viele dieser politischen Songs leben vom Kontrast kämpferischer Inhalte und sanfter, brüchiger Vortragsweise, oft nur mit Drumcomputer und Orgel begleitet. Das gilt auch für Wyatts Interpretation von «At last I am free», der Freiheitsbeschwörung der Disco-GruppeChic, «Shipbuilding», die von Elvis Costello und Clive Langer geschriebene Ode gegen den Falklandkrieg. Ebenso eindrücklich seine Version von «Yolanda» (1984), ein Lied des kubanischen Sängers Pablo Milanés.

Das nächste Studioalbum «Old Rottenhat» erschien 1985. Er habe Lieder schreiben wollen, die nicht von der politischen Rechten missbraucht werden könnten, hat Wyatt später über die musikalisch eher schlichten, ohne Unterstützung einer Band entstandenen Stücke gesagt. «The age of self» beispielsweise ist seine Erwiderung auf Margaret Thatchers Credo: «There is no such thing as society», es gibt keine Gesellschaft, wir sind alle bloss Individuen. «Sie sagen, die Arbeiterklasse sei tot», singt Wyatt, «wir sind alle nur noch Konsumenten».

Neue Schaffensphase

Nach längerer Pause meldete sich Robert Wyatt 1991 zurück mit dem Album «Dondestan» (1998 in einem neuen Mix unter dem Titel «Dondestan (Revisited) wiederveröffentlicht). Die wie eine durchgängige Suite arrangierten Lieder sind teils Vertonungen der Gedichte von Wyatts Ehefrau Alfreda Benge (die auch sämtliche Plattenhüllen gestaltete), teils politische Lieder im Geist von «Old Rottenhat». Mit «Shleep» kehrte 1997 das Ensemblespiel in Wyatts Werk zurück. Weniger melancholisch als die meisten früheren Arbeiten vermittelt die Platte eine Atmosphäre der Gelassenheit. Brian Eno, Phil Manzenera, Annie Whitehead, Paul Weller, Evan Parker und andere Gäste kreieren einen süffigen Ambient-haften Sound, der manchmal berieselt, oft aber - wie etwa in «Maryan» oder «Free Will And Testament» – berauscht.

Die Zeit nach 2000

Sechs Jahre später (2003) präsentierte Robert Wyatt das vielgestaltige Album «Cuckooland». Er verdichtet, was er sammelt: Jazz, osteuropäische Folklore, Filmsoundtracks, Vaudeville, sogar Samba. Nur bei ihm klingt Antonio Carlos Jobims «Insensatez» als wäre es gerade erst am Klavier entdeckt und nicht jahrzehntelang schon als Standard herumgereicht worden. Auf dem in drei Akten angelegten Album «Comicopera» (2007) bringt Wyatt gekonnt Folk, Jazz, Pop, Weltmusik und klassische Elemente zur Synthese und setzt sich textlich für eine besser Welt ein. Unterstützt von mehreren Musiker*innen (darunter wieder Annie Whitehead, Brian Eno, Paul Weller und Phil Manzanera) gelingt es ihm, sich in immer andere Kontexte einzuklinken und so Vielfalt gegen Homogenität auszuspielen. Getragen von Streicherarrangements und begleitet von dezenten Bläsersätzen widmen sich Robert Wyatt, Gilad Atzmon und Ros Stephen 2010 auf «For The Ghosts Within`» - neben den eigenen Kompositionen - Jazzstandards wie «Lush Life», «Round Midnight»und selbst «What a Wonderful World».

Abschied von der Musik

Legendär sind auch Wyatts unzählige Kollaborationen, so unter anderem mit David Gilmour und Nick Mason von Pink Floyd, Scritti Politti, Björk, Hot Chip, Working Week, John Cage, Anja Garbarek und Michael Mantler. Der ewige Jazz-Fan und Benjamin Britten-Verehrer Robert Wyatt, der bei aller gnadenlosen Analyse der Gesellschaft seinen Humor und die feine Ironie nie vergessen hat, erklärte im Herbst 2014 seinen Rückzug aus der Musik.

Verstummt ist damit eine Stimme, deren Brüchigkeit und Verletzbarkeit nicht nur von der Vereinzelung im Neoliberalismus erzählte, sondern auch eine kämpferische Haltung spüren ließ, die sich alles «Männliche» abgeschminkt hat. Genau davon haben sich immer wieder Künstler*innen inspirieren lassen.

 

Urs Musfeld

 Urs Musfeld

SRF «Sounds!»-Musikredaktor von 1980-2017, 
noch immer unterwegs in den unendlichen Weiten des Musik-Dschungels mit dem Ohr für das Besondere.

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