Grandaddy - "The Sophtware Slump"

// Urs Musfeld

Ihre Themen sind noch immer aktuell, die sprachlichen Bilder so einprägsam wie die Melodien. Grandaddy, die Architekten der Zeitlosigkeit und der epischen Breite, wiederveröffentlichen ihr 2000er-Album «The Sophtware Slump» in Form einer 20th Anniversay Edition. Neben der neu gemasterten Original-LP enthält sie eine von Mastermind Jason Lytle eingespielte Solo-Piano-Version und zwei LPs mit Raritäten.

Der Titel «The Sophtware Slump» verweist auf den Wertverfall überholter Technologien, nutzlose Überreste des digitalen Zeitalters. Es ist das Bild eines Ortes, wo die Träume des letzten Jahrhunderts erloschen sind, Mensch und Maschine in Einklang zu bringen. Die Band aus dem kalifornischen Modesto (147km östlich von San Francisco im San Joaquin Valley gelegen, einer Art Agrar-Gegenstück zum Computer-Mekka Silicon Valley) kreierte ein Wechselspiel von seltsamsten Klangcollagen, Störgeräuschen, Space Rock und melancholischen Melodien. Zum Instrumentarium gehörten analoge Synthesizer, Klavier, Theremins, Sequenzer, Fuzz-Gitarre genauso wie Handmixer und Mobiltelefons. Und über allem schwebt Jason Lytles Stimme, warm und weich bis hinauf ins Falsett.

Wie Henry David Thoreau versuchen Grandaddy Trost in der Natur zu finden, nur um zu entdecken, dass die Wälder vollgestopft sind mit Elektroschrott. Das rockige «Broken household appliance National Forest» entwirft in rasanten Tempowechseln Bilder von Kühlschränken als Krötenheime, Backofentüren, aus der Eulen fliegen und der erquicklichen Koexistenz von feuchter Erde und rostendem Metall. Eine treffende Metapher für das ganze Album. Man schlurft fast nur noch durch kaputte Landschaften, Leben und Lieben. Der Opener «He’s simple, he`s dumb, he’s the pilot» erzählt die Geschichte eines einsamen Piloten, der sich im All verirrt hat, aufgeben will und dann doch wieder auf der Erde landet: «Did you love this world/ And did this world not love you?». Ein dreiteiliger, sich über rund neun Minuten aufbauender Spannungsbogen aus bittersüßen Melodien, verspielten analogen Synthi-Klängen und hymnischem Finale. «Jed the humanoid» wirft einen Rückblick auf einen zu menschlich gewordenen Androiden, dessen System den Geist aufgegeben hat. Von seinen Erfindern mit Vernachlässigung gestraft, säuft er sich zu Tode: Er rüttelt und schüttelt sich, die Innereien spielen verrückt, bis gar nichts mehr geht.

«The Crystal lake» drückt das Bedauern aus, einen kleinen Ort zugunsten einer grösseren Stadt verlassen zu haben:  «The crystal lake it only laughs / It knows you're just a modern man». Dieser moderne Mann ist jedoch vom Aussterben bedroht, wenn man der Philosophie Grandaddys folgen kann. Musikalisch steht die Vorliebe für das Ländliche in Kontrast zu schräger Electronica und allerlei Studio-Düfteleien. Immer wieder klingt eine seltsam euphorische Traurigkeit nach. In «Underneath the weeping willow» will sich der Protagonist von den Tränen der Trauerweide leise in den Schlaf weinen lassen, um am nächsten Tag wieder glücklich aufwachen zu können. Die abschliessende Ballade «So you'll aim toward the sky» entlässt uns aus Jason Lytles Welt, in der der Mensch gar nicht so wichtig ist, wie er selbst immer glaubt zu sein.

 

Urs Musfeld

 Urs Musfeld

SRF «Sounds!»-Musikredaktor von 1980-2017, 
noch immer unterwegs in den unendlichen Weiten des Musik-Dschungels mit dem Ohr für das Besondere.

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